Mit 21 Jahren hatte Ludolf Wirries als jüngster Oberturnwart eines Turnkreises im Niedersächsischen Turner-Bund (NTB) und darüber hinaus sogar auf nationaler Ebene im Deutschen Turner-Bund bereits Sportgeschichte geschrieben. Später betreute er über 50 Jahre lang mit Ehefrau Hedwig das Zeltlager der niedersächsischen Sportjugend ehrenamtlich auf der Nordseeinsel Langeoog. Der ehemalige Vorsitzende des MTV Harsum, Organisator vieler sportlicher Veranstaltungen weit und breit sowie Träger des Bundesverdienstkreuzes verstarb mit 89 Jahren.
Als 18jähriger Kunstturner stand in der damaligen Muster-Riege des MTV Harsum beim Deutschen Turnfest 1953 in Hamburg. In seiner aktiven Laufbahn gab es etliche solcher sportlichen Höhepunkte. Dazu zählten auch die nationalen Turn-Vergleichskämpfe gegen die BSG Limbach-Oberfrohna (DDR) im dortigen Sportzentrum. In großen Lettern stand damals über der Wettkampf-Bühne zu lesen: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern“. Ein Jahr später folgte der Rückkampf im Harsumer Saalbau Brönnecke am Morgenstern.
Zu seinem „echten“ Hobby entwickelte sich dann das Zeltlager auf Langeoog, zunächst in den 1960ern für die Jugend des Kreissportbundes (KSB) Hildesheim, dann für die gesamte „Sportjugend Niedersachsen“. Der Harsumer holte viele helfende Personen aus den örtlichen Vereinen und aus den Nachbargemeinden zusammen, die über Jahrzehnte lang für die Lagerküche, für Freizeitaktivitäten bis zu Abnahmen des Sportabzeichens Jahr für Jahr ehrenamtlich tätig waren. Aus Anlass „50 Jahre Zeltlager Langeoog“ fand auf der Nordsee-Insel ein Jubiläums-Dünensingen mit 160 Teilnehmern zu Ehren von Ludolf Wirries statt.
In den Zeiten vorher mischte sich der elfjährige Schüler unter die 3000 Zuschauer beim Kreisturn- und Sportfest am 13./14. Juli 1946 auf dem Sportplatz an der Förster Straße. Das war das erste große Sportfest nach dem zweiten Weltkrieg in ganz Nordwestdeutschland, genehmigt von der britischen Militärregierung.
Seine so bedeutende organisatorische Ära begann. Der Kreiskinderturnwart und Knaben-Turnwart, Männerturnwart und schließlich auch Oberturnwart im Turngau Hildesheim-Marienburg, heute der Turnkreis Hildesheim-Alfeld, führte gekonnt zahlreiche Großveranstaltungen durch. Die früheren Gau- und Kreisturnfeste sowie Kunstturn-Gerätemeisterschaften und Schauturnen, seine Spezialität, zogen Besuchermassen an.
Das praktische Wissen erwarb sich der Sportfunktionär bereits in jungen Jahren in der Kreisturnschule in der Treibe-Schule neben dem Hildesheimer Bernward-Krankenhaus Anfang der 1950er Jahre. Damals galt diese Einrichtung als Pilotprojekt in Niedersachsen und darüber hinaus sogar in der Bundesrepublik Deutschland. Der MTVer absolvierte Lehrgänge an der Bundesturnschule des Deutschen Turner-Bundes (DTB) in Frankfurt/Main und in der niedersächsischen Landesturnschule in Melle.
Der Turngau als damals größter Hildesheimer Kreissportbund-Fachverband wählte Ludolf Wirries 1968 zum ersten Vorsitzenden. Zwei Jahre vorher stand Harsum zum 70-jährigen MTV-Bestehen im Mittelpunkt der kreisweiten Sportwoche mit dem Radrennen „Quer durch den Landkreis“, KSB-Stafetten-Lauf von Leichtathleten, Kanuten, Radsportlern, Ruderern, Schwimmern und Reitern. Die Sonderausstellung „70 Jahre Turnen in Harsum“ in der Turnhalle, die Feierstunde im Saalbau Brönnecke und als Abschluss das Volks- und Schützenfest zählten zu seinen vielen Aktivitäten. Er schoss damals die beste „Zehn“ und errang damit die MTV-Jubiläumsscheibe.
Seine praktischen Erfahrungen standen außerdem im Jugend-Wohlfahrtsausschuss des Landkreises sowie im Kreisjugendring hoch im Kurs.
Beruflich betätigte sich der gelernte Maurer in der Gießerei und als Ofenmaurer-Spezialist bei Kloth-Senking in Hildesheim. Vom Kultusministerium unterstützt, absolvierte der Harsumer Fachlehrgänge an der Deutschen Turnschule in Frankfurt und Landesturnschule in Melle zum Erwerb des Sportlehrers. Er unterrichtete danach drei Jahrzehnte lang an den Schulen in Sarstedt, Borsum und Harsum bis hin zum zehnten Schuljahr.
Generationen-Wechsel: Spannende Sport-Diskussionen über die Zukunft des Turnkreises Hildesheim-Alfeld gab es immer wieder zwischen Ludolf Wirries (rechts) und den beiden heutigen Vorständen vom Turnkreis Hildesheim-Alfeld, Matthias Aschmann (links) und Bernd Montag.
Bundesverdienstkreuz für zahlreiche Ehrenämter
Für seine Hobbys nahm er sich die Zeit. Skiwanderungen im Gebiet rund um die Winklmoosalm in Reit im Winkl, inmitten des Familienkreises von Opa Heinrich Mittermaier, Rosi, Christian und Felix Neureuther.
Der landschaftstypische Eichen- und Hainbuchen-Wald hinter seinem Haus am Tannenkamp mit Reichtum an Flora und Fauna, zahlreichen Nachtfalter-Vorkommen, einer starken Pilzflora und einigen Orchideen-Stellen nutze die Gemeinde Harsum, Ludolf Wirries zu ihrem engagierten ehrenamtlichen Waldaufseher zu ernennen. Mit Akribie erfüllte er auch diese Aufgabe in späteren Jahren. Auch mit den Eigentumsverhältnissen und Vorhandensein der Grenzsteine kannte er sich aus.
Im Clubhaus seines MTV von 1896 Harsum nahm er 2007 von der Landrätin Ingrid Baule den Verdienstorden der Bundesrepublik entgegen. Sie verkündete seine zahlreichen ehrenamtlichen Stationen und fügte in ihrer Laudatio hinzu, dass unsere Gesellschaft solche Vorbilder, wie es der geehrte Harsumer Sportführer war, sehr dringend brauche.
Bis zu seiner Krankheit rollte der Sportfunktionär seit Jahrzehnten auf den Kegelbahnen Baule die Kugeln. Im Volksmund als „schwarz-roter“ Kegelclub bekannt, kegelten hier die politisch aktiven Harsumer aus beiden Parteien gegeneinander, auch heute noch. Als früheres Ratsmitglied gehörte Ludolf Wirries seit der Kegel-Gründung anno 1971 dazu.
Trauer in der Wirries-Familie mit Thorsten, Ulf und Saartje sowie deren sieben Kinder um Vater und Opa Ludolf Wirries. Auf dem Harsumer Waldfriedhof folgte die Beisetzung am Donnerstag, 22. August.
Text und Bilder: Gerhard Schütte